Der Abriss der Landesschule

Beim AkeL-Treffen 2004 stand es bereits fest: Die Landesschule sollte abgerissen werden. Nach jahrelangem Gezerre zwischen der Landeskirche in Bielefeld und verschiedenen Interessenten war angeblich keine andere Lösung übrig geblieben, als das Gebäude für eine nicht unerhebliche Summe dem Erdboden gleich zu machen.

Zerbrochene FensterscheibeAus diesem Grund fand dieses letzte Ehemaligentreffen auch in Meinerzhagen statt. Viele wollten noch ein letztes Mal die vertrauten Gänge durchstreifen, dem eigenen Zimmer einen Abschiedsbesuch abstatten. Einmal noch den kalten Beton anfassen oder sich im Spielteil auf die Wiese legen, in den Himmel blicken und an die Zeit zurückdenken, als alles im Leben noch so einfach schien.

Dieser letzte Besuch war für viele schließlich ein Schock: Nachdem mit den Schumachers die letzten gegangen waren, die noch ein Auge auf Schul- und Internatsteile hätten haben können, waren die leeren Räume schutzlos dem Vandalismus ausgeliefert gewesen. Mit jedem Schritt stieß man auf Verwüstung und Zerstörung. Eingeschlagene Scheiben, beschmierte Wände, in Brand gesteckte Einrichtungsteile. So richtig mochte damals keine Sentimentalität mehr aufkommen.

Am 17.1.2005 schließlich begann der eigentliche Abriss. Zuvor hatte die Abbruchfirma bereits mit den Vorarbeiten begonnen. Fenster waren ausgebaut, Schieferverkleidungen von den Außenwänden entfernt worden. Problemstoffe, wie schadstoffbelastete Scheibendichtungen mussten gesondert entsorgt werden. Es wurde ein enormer Aufwand getrieben, um die gar nicht so alte Schule vorschriftsmäßig und umweltgerecht verschwinden zu lassen. Überhaupt hatte der Abbruchunternehmer es schon in der Planungsphase nicht leicht gehabt. Pläne fehlten, genauere Angaben aus der Bauzeit konnte offenbar niemand mehr machen. Sie blieb den Männern aus dem Ruhrpott oft keine andere Wahl, also Vermutungen darüber anzustellen, was sich möglicherweise hinter einer Wand oder unter einem Raum befand und wie dies wohl zu entsorgen sei.

Die Bausubstanz der Landesschule wehrte sich im Verlauf der Monate vehement gegen ihre Vernichtung. Alles schien für die Ewigkeit gebaut zu sein. Der allgegenwärtige Stahlbeton zum Beispiel enthielt soviel Stahl, dass man das Wort Beton in seinem Namen getrost hätte streichen können. Von „Abbruch“ konnte so in vielen Fällen nicht die Rede sein. Stattdessen mussten sich sogenannte „Longfront-Bagger“ mit hydraulischen Scheren mühsam durch Decken und Wände beißen. Pläne, wie z.B. der, das Agoradach durch das Wegbrechen einiger Betonsäulen zum Einsturz zu bringen, scheiterten zunächst an den massiven Säulen selbst und später daran, dass das Dach auch ohne die notwendigen Säulen quasi frei in der Luft hing.

Ein Opfer der außergewöhnlichen Bauweise wurde auch ein Mann namens Willi Witzgall. Er war mit der Sprengung u.a. des Schornsteins beauftragt. Wie er dies (nicht) schaffte, ist hier zu lesen.

Der kalkulierte Zeitrahmen verlängerte sich zusehends. Nicht nur, dass es schon schwierig genug war, die Gebäude auseinanderzunehmen. Auch die behördlichen Auflagen ließen kein flüssiges Arbeiten zu. So musste beispielsweise der große Shredder, der die Betonbrocken zu kleinen Steinchen zermalmte, aus Lärmschutzgründen hinter der der Kapelle Position beziehen und der gesamte Schutt über das weitläufige Gelände zu dieser Stelle gebracht werden. Auch Handarbeit war angesagt: Da alle Flachdächer unter ihren Kiesschichten mit Bitumenbahnen abgedichtet waren, die nicht in den Schutt gelangen durften, mussten sämtliche Dachflächen mit Schaufel und Schubkarre vom Kies befreit werden, bevor die Bahnen entfernt und die Gebäude schließlich abgerissen werden konnten.

Und dann kam der Schnee. Was für Schüler und Lehrer stets ein großer Spaß gewesen war und die Schule immer ein wenig märchenhaft erscheinen ließ, brachte die Arbeiten Mitte Januar völlig zu Erliegen. Schneemassen überdeckten Gelände und Gebäude. Nichts war mehr zu erkennen. Die Abbruchfirma hatte schlicht Angst um ihre Mitarbeiter. An jeder Stelle, an die man seinen Fuß setzte, konnte unter dem Schnee ein spitzes Moniereisen lauern. Es blieb dem Bauleiter nichts anderes übrig, also seine Leute nach Hause zu schicken, bis die weiße Pracht weggetaut war.

Letztendlich kam es natürlich, wie es kommen musste: Der Abriss wurde zwar immer wieder verzögert, aber kam trotzdem weiter voran. Ein Gebäude nach dem anderen verschwand im Schlund des Shredders. Bis zuletzt konnte man noch den Teil IV erkennen und die benachbarte Kapelle. Als am 28.4.2005 mit dem Glockenturm das Wahrzeichen der Ev. Landesschule zur Pforte fiel, war die Geschichte einer außergewöhnlichen Schule für immer beendet.

Was bleibt sind die Schüler, Lehrer und Mitarbeiter mit ihren Erinnerungen. Und diese Erinnerungen sollten wir wachhalten. Vielleicht können wir sie eines Tages noch einmal brauchen.

Fotos von Oliver Linke zu diesem Artikel sind in zeitlicher Reihenfolge auch hier zu finden.